domwass reviewed Die Säulen der Erde by Ken Follett
Die Säulen der Erde – nach über 30 Jahren nochmal gelesen
4 stars
Content warning Enthält Spoiler.
Lohnt es sich, eine Besprechung zu einem Werk zu schreiben, dass als Klassiker gilt? Warum mache ich das überhaupt? Ich habe „Die Säulen der Erde“ vor über 30 Jahren gelesen, und es hat seinen Teil dazu beigetragen, dass ich mittelalterliche Geschichte studiert (und später zu meinem Beruf gemacht) habe. Ich habe das Buch jetzt noch einmal gelesen und mich gefragt, ob ich es als Mediävist anders einschätze – zumal ich historischen Romanen über Begebenheiten, mit denen ich mich gut auskenne, eher skeptisch gegenüberstehe.
Bevor es losgeht, noch ein wichtiger Hinweise: Die folgende Besprechung enthält einige wenige Spoiler.
Den historischen Hintergrund bildet der Streit um den englischen Thron zwischen Stephan von Blois und Kaiserin Mathilde (1135–1153), wobei insgesamt der Zeitraum von etwa 1120 bis 1173 abgedeckt wird. Diese Rahmenhandlung ist historisch korrekt dargestellt, spielt aber über weite Strecken nur eine untergeordnete Rolle. Erst im letzten Drittel des Buches, zunächst bei der Einigung zwischen Stephan und Mathilde bzw. ihrem Sohn, Heinrich II., sowie beim Mord an Erzbischof Thomas Becket, sind einige der (fiktiven) Protagonist*innen auch direkt in historische Ereignisse involviert. Dieser Teil des Romans ist für mich einer der besten Abschnitte. Natürlich dramatisiert Follet das Geschehen, und es hat sich auch sicher nicht genau so abgespielt, wie es hier geschildert wird, aber die historischen Fakten werden meist nur leicht gedehnt, nicht überspannt, und schließlich handelt es sich um einen historischen Roman, nicht um eine wissenschaftliche Abhandlung. Nur der Untergang des Weißen Schiffs, das zum Mordkomplott gegen den Sohn des Königs gedeutet wird, fällt hier aus dem Rahmen.
Grundsätzlich werden die Bedingungen der Zeit durchaus glaubwürdig wiedergegeben. Das betrifft sowohl das Leben von Adeligen wie auch das im Kloster – in diesen Lebensbereichen spielt ein Großteil der Handlung. Als störend habe ich dagegen empfunden, dass die meisten der Charaktere, die im Vordergrund stehen, etwas holzschnittartig in „gut“ und „böse“ unterteilt werden. Außerdem entwickeln sie sich im Verlauf der Erzählung kaum oder gar nicht weiter. Die Beweggründe der Protagonist*innen werden zum Teil plausibel dargestellt, teils hat sich mir aber nicht ergründet, warum sie so handeln, wie sie es tun – insbesondere bei den „bösen“ Charakteren wie Alfred, Graf William, Bischof Waleran oder Peter von Wareham. Einzelne Charaktere wandeln sich zwar im Lauf der Darstellung, das dient aber meines Erachtens vor allem dazu, dass letztlich die gute Seite „gewinnt“. Insgesamt, finde ich, nehmen Hass und Liebe bei den Handlungsmotiven einen zu großen Raum ein. Das trübt das Lesevergnügen letztlich aber nur wenig, denn das Buch ist sehr spannend geschrieben – ein typischer Follet eben.
Der eigentliche Protagonist der Geschichte ist aber die Kathedrale, deren Bau über die gesamte Zeit hinweg verfolgt wird. Die architektonischen Beschreibungen lassen dabei den Übergang von der Romanik zur Gotik vor dem geistigen Auge lebendig werden und gehören ebenfalls zum Besten, was das Buch zu bieten hat. Insgesamt empfand ich die Lektüre als abwechslungsreich und kurzweilig mit einem sehr gut recherchierten historischen Hintergrund. Auch nach über 30 Jahren – und mit deutlich mehr Wissen zur behandelten Epoche – habe ich das Buch mit Gewinn gelesen.